Immer mehr Deutsche verlassen das Land

Dem Statistischem Bundesamt zufolge haben 2016 281.000 Deutsche das Land verlassen. Der Zuzug von Ausländern sinkt im Vergleich zum Rekordjahr 2015. Er bleibt aber historisch hoch. Während sich die Bundesregierung bemüht, mehr Arbeitskräfte zur Einwanderung zu bewegen, verlassen Deutsche in großer Zahl das Land. Allein im Jahr 2016 verlegten 281.000 Bundesbürger ihren Wohnsitz ins Ausland. Einen höheren Verlust wies die amtliche Statistik noch nie aus. Nachdem im Jahr 1991 rund 99.000 Deutsche abwanderten, stiegen die Zahlen seither tendenziell an und lagen in den vergangenen Jahren auf einem Niveau von etwa 140.000 abwandernden Deutschen pro Jahr.

Doch warum gab es 2016 einen derart drastischen Anstieg der Abwanderungen auf 281.000? Das hat wohl vor allem mit der Umstellung der Erhebungsmethode zu tun, wie das Statistische Bundesamt erklärt.

Vor 2016 sei „das Meldesystem auf einem veralteten Stand“ gewesen, erklärt der für das Bundesamt tätige Statistiker Martin Conrad auf WELT-Anfrage. Erst seither werde flächendeckend unmittelbar erfasst, wenn ein Deutscher innerhalb des Landes umzieht.

Bei allen Bundesbürgern, die sich abmelden, aber nirgendwo anders im Land erfasst werden, geht die Bevölkerungsstatistik nun davon aus, dass sie ausgewandert sind. Die Alternative dazu wäre nur das Untertauchen im eigenen Land – was bei Bundesbürgern höchst selten vorkommt. Vor 2016 wurden nur Fortzüge von Deutschen erfasst, wenn der neue Wohnort im Ausland bekannt war.

 

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Im Klartext: Die Angaben für 2016 dürften der Realität sehr nahekommen, die Daten der Vorjahre sind mit Vorsicht zu genießen. Eine rückwirkende Überprüfung der Datenreihen ist aber nicht möglich. Statistiker Conrad erklärt: „Man könnte vermuten, dass auch in den vergangenen Jahren mehr Deutsche fortgezogen sind, als es die Wanderungsstatistiken auflisten.“ Würden die Fortzüge von Bundesbürgern immer noch so erhoben wie vor 2016, hätte es im Vergleich zu 2015 sogar einen leichten Rückgang auf 131.000 Abwanderungen gegeben.

Allerdings kehren viele Deutsche nach einigen Jahren wieder zurück. 2016 waren das mit 146.000 (inklusive Spätaussiedler) immerhin halb so viele wie die 281.000 Auswanderer im selben Jahr. Die beliebtesten Zielländer der Auswanderer waren die Schweiz (17.650), USA (12.781), Österreich (10.283), Großbritannien (8243), Türkei (6230) und Frankreich (5895).

Mehr abwandernde als zuziehende Deutsche

Im längerfristigen Vergleich wird seit 2005 ein negatives Wanderungssaldo verzeichnet; seitdem wandern also mehr Bundesbürger ab als ins Land ziehen. In den Jahren zuvor seit 1990 weist die Statistik immer mehr zuziehende Deutsche als fortziehende aus – allerdings vor allem wegen der statistischen Besonderheit, dass die Millionen Spätaussiedler und ihre Angehörigen mit den Bürgern aus dem Bundesgebiet in der Wanderungsstatistik zusammen erfasst wurden und werden. Als Beispiel: Wenn in einem beliebigen Jahr 1000 Deutsche auswanderten und im selben Jahr 2000 Spätaussiedler ankamen, war das Wanderungssaldo positiv.

Der starken Auswanderung von Deutschen steht eine anhaltend hohe Zuwanderung von Ausländern gegenüber. Zwar kamen 2016 mit 1.720.000 weniger als im Rekordjahr 2015 (2.016.000), doch mehr als in jedem anderen Jahr seit Bestehen der Bundesrepublik. Auch die Abwanderung von Ausländern erreichte mit 1.084.000 im Jahr 2016 einen Rekordwert.

Insgesamt kamen 2016 635.000 Ausländer mehr ins Land, als es verließen – der zweithöchste Wert nach 2015. Wenn man die Wanderungsbewegungen von Ausländern (stark positiv) und Deutschen (stark negativ) zusammenrechnet, ergibt sich ein Bevölkerungszuwachs von etwa 500.000 Menschen.

Rund 51 Prozent aller in die Bundesrepublik Zugewanderten waren EU-Ausländer, ein Drittel kam aus Nahost, Afrika und Asien, also den Herkunftsregionen der über das Asylsystem einwandernden. Der Zuwanderung aus EU-Ländern steht allerdings auch eine hohe Abwanderung gegenüber. Grob gesagt kommt auf zwei Zugewanderten aus einem EU-Staat im selben Zeitraum ein Heimkehrer.

Dieses sogenannte Migrationssaldo, das sich durch Abzug der Fort- von den Zuzügen ergibt, ist tendenziell bei wohlhabenden Staaten gering: Zuwanderer aus diesen Ländern halten sich oft nur für einige Jahre aus beruflichen Gründen in der Bundesrepublik auf. Dazu zählen neben den EU-Staaten die USA und Japan.

Im Gegensatz dazu ist das „Migrationssaldo“ armer oder instabiler Herkunftsländer in der Regel hoch: Die Zuzüge nach Deutschland übertreffen also deutlich die Fortzüge. Das heißt, diese Zuwanderer werden zu Einwanderern, die dauerhaft bleiben, wie ein Blick auf den Wanderungsüberschuss zeigt. Den größten Anteil, bezogen auf alle Staatsangehörigkeiten, hatten hier mit 63 Prozent Menschen aus Nahost und dem übrigen Asien. Für EU-Bürger ergab sich ein Anteil von 15 Prozent sowie für Afrikaner von neun Prozent.

Auf dem Weg zur Migrationsgesellschaft

Durch die im internationalen Vergleich starke Zuwanderung – Deutschland nahm seit den 60er-Jahren mehr Zuwanderer auf als das klassische Einwanderungsland USA – entwickelt sich das Land schnell zur Migrationsgesellschaft. Inzwischen haben rund 23 Prozent der Bevölkerung von 82 Millionen einen Migrationshintergrund. Das ergab eine Auswertung des Mikrozensus für das Jahr 2016 durch das Statistische Bundesamt.

Wie rasch sich dieser Wandel vollzieht, zeigt der Blick auf die verschiedenen Generationen: Während nur jeder zehnte Senior (über 65 Jahre) eine Wanderungsgeschichte hat, sind es bei den Kindern (unter sechs Jahren) schon 38 Prozent; in Westdeutschland (inklusive Berlin) kommen 42 Prozent der Kinder aus einer Einwandererfamilie.

Gerade wegen des stets wachsenden Anteils der Zuwanderungsbevölkerung ist es von entscheidender Bedeutung, die Menschen auszuwählen, die dauerhaft ins Land kommen und mittelfristig zu Staatsbürgern werden. In den vergangenen Jahren wurde dies stärker vernachlässigt denn je. Die irreguläre Migration nach Deutschland überwog die gesteuerte über Arbeitsvisa bei Weitem.

 

Quelle: Welt

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