Alljährlich verlassen zigtausende hochqualifizierte und leistungswillige Deutsche ihr Land, wie eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigt. Deren beschwichtigender Ton ändert nichts an den besorgniserregenden Befunden.
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Diese Tatsache jahrelang geleugnet zu haben, gilt als Lebenslüge der alten Bundesrepublik. Das hat sich nun geändert. Allerdings fehlt gleichzeitig das politische Bewusstsein dafür, dass Deutschland auch gleichzeitig wieder ein Auswanderungsland ist. Da wird womöglich erneut eine einschneidende Entwicklung politisch ignoriert, weil es unangenehm ist, sich mit den langfristigen Folgen zu befassen.
Innerhalb des letzten Jahrzehnts haben jedes Jahr durchschnittlich 180.000 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit Deutschland verlassen. Im gleichen Zeitraum kehrten jedes Jahr durchschnittlich 129.000 Personen wieder nach Deutschland zurück. Etwa 4 Millionen Deutsche leben derzeit im Ausland. Der Anteil der Auswanderer bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist in Deutschland deutlich höher als in vergleichbaren Ländern wie Frankreich oder Italien, aber auch der Türkei.
Die deutschen Auswanderer der Gegenwart haben mit den klassischen deutschen Auswanderern des 19. Jahrhunderts nicht viel gemeinsam, wie die „German Emigration and Remigration Panel Study“ (GERPS) zeigt, eine Befragung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) unter 10.000 deutschen Aus- und Rückwanderern, deren erste Ergebnisse jetzt veröffentlicht wurden.
Die Millionen Deutschen (und anderen Europäer), die einst auf stickigen Schiffen in die amerikanischen Einwanderungsländer fuhren, kamen in der großen Mehrheit aus niedrigen sozialen Verhältnissen: oft zweite, dritte oder vierte Söhne und Töchter von Bauern und Handwerkern. Der typische heutige deutsche Auswanderer dagegen steht auf dem anderen Ende der sozialen Leiter. Er ist nicht mehr ganz jung, aber mit im Schnitt 36,6 Jahren noch zehn Jahre jünger als der Durchschnittsdeutsche, also ökonomisch gesehen in den besten Jahren der Leistungsfähigkeit. Vor allem ist er überdurchschnittlich qualifiziert. Etwa drei Viertel der ausgewanderten (beziehungsweise wieder zurückgekommenen) Deutschen haben einen Hochschulabschluss, in der Gesamtbevölkerung ist es nur ein Viertel. Unter den Auswanderern haben überproportional viele Personen einen Doktor-Titel. Menschen „nur“ mit Abitur oder niedrigerem Schulabschluss sind bei ihnen unterrepräsentiert.
Insgesamt nennen 58 Prozent der Befragten berufliche Gründe für das Leben im Ausland, weitere 29 Prozent geben den Beruf des Partners bzw. der Partnerin an. Einer der Autoren der Studie, Marcel Erlinghagen von der Universität Duisburg-Essen, sagt: „Der Weg ins Ausland ist chancengetrieben – es gehen nicht die Verbitterten oder Enttäuschten, sondern diejenigen, die schon in Deutschland erfolgreich waren und den nächsten Karriereschritt planen.“ Der klassische Auswanderungsgrund, nämlich „Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland“, wird nur in 18 Prozent der Fälle angegeben.
Fazit: Deutsche Auswanderer (und Heimkehrer) sind ökonomisch weit überdurchschnittlich leistungsfähig und -willig. Deutsche Auswanderer sind, wie es in der Überschrift der Studie heißt, „Gewinner der Globalisierung“. Aber der große Rest der Nicht-Ausgewanderten ist, was im beschwichtigenden Ton der Studie untergeht, Verlierer dieser Entwicklung. Die Autoren betonen zwar, dass die große Mehrheit der Auswanderer nach einigen Jahren wieder in die alte Heimat zurückkehrt. Aber eben längst nicht alle, der Saldo ist negativ. Volkswirtschaftlich betrachtet, ist diese Mobilität also ein Verlust für Deutschland, beziehungsweise die Hiergebliebenen. Und erst recht für den deutschen (Sozial-)Staat, dem Steuerzahler verloren gehen, die die daheimgebliebenen kompensieren müssen.
Umso ernster und folgenschwerer ist dieser Verlust der Leistungsfähigen angesichts der durchschnittlich ziemlich geringen Qualifikationen von Zuwanderern. Deren ökonomische Aussichten bezeichnete der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Hans-Eckhard Sommer, kürzlich so: „Das kann nicht gut für die Gesellschaft sein, wenn die Menschen dauerhaft in Deutschland bleiben sollen. Es droht dann nämlich die Gefahr, dass viele der niedrig bezahlten Migranten und Flüchtlinge in prekären Verhältnissen verharren und später in Altersarmut abrutschen.“ Man solle daher, „die Migration in den Niedriglohnsektor in Deutschland künftig deutlich reduzieren“. Auch unter Hartz-IV-Empfängern sind Nicht-Deutsche mit 36,4 Prozent sehr stark überrepräsentiert.
Dass die meisten Asyl-Zuwanderer von Sozialleistungen oder besserenfalls Niedriglöhnen leben, kann angesichts des tatsächlichen Qualifikationsniveaus niemanden überraschen: Goethe-Institut und Leibniz-Institut haben festgestellt, dass nur minimale zwei Prozent der Kursteilnehmer das bescheidene B1-Sprachniveau erlangen. Damit fehlt den restlichen 98 Prozent jegliche Voraussetzung für eine Arbeit oberhalb des Niedriglohnsektors in Deutschland.
Noch ist die Netto-Zahl der endgültig ausgewanderten, meist hochqualifizierten Deutschen nur im niedrigen fünfstelligen Bereich, während die Zahl der meist gering bis gar nicht qualifizierten Asylzuwanderer alljährlich sechsstellig ist. Angesichts aktueller Entwicklungen sowohl der deutschen Volkswirtschaft, deren Schlüsselindustrie gerade vor einer existenziellen Krise steht, als auch der weiter so gut wie ungebremsten Zuwanderungsströme könnten sich beide Zahlen allerdings bald deutlich erhöhen. Dabei dürften Rückkopplungseffekte bestehende Ungleichgewichte noch zusätzlich verstärken und die sozioökonomische Stabilität gefährden. Dafür sorgt die Kombination von offenen Grenzen und offen zugänglichen Sozialleistungen: Der deutsche Sozialstaat ist ein Pull-Faktor für unqualifizierte Armutszuwanderer, die auf seine Leistungen hoffen, aber ein Push-Faktor für hochqualifizierte Leistungsträger, die ihn finanzieren sollen.
Auch nach Paraguay zieht es immer mehr Deutsche, die in Paraguay ihr neues Glück und ein neues Leben suchen.